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Eifelmaler Pitt Kreuzberg

Epilog von Peter Kremer, geschrieben an seinem Begräbnistag

Pitt Kreuzberg nach einem Gemälde von Curtius Schulten (VI 1964)

Jetzt an diesem vorfrühlinghaften Morgen des 25. Februar 1966 wird droben auf dem Gottesacker ums Kirchlein überm Totenmaar Pitt Kreuzberg begraben, und während ich wehmütig vor einem seiner Bilder stehe, das in meiner Stube hängt, höre ich das Glöcklein aus dem plumpen, erdhaften Turm seinen Totenklang in den Eifelwind rufen. Ich sehe die Prozession als Totengeleit von seinem Hause aus über den Maarpfad schreiten, den Hangweg hinauf zur Ebereschenstraße zwischen den zwei Maaren, die Füße knirschen über den schwarzen Vulkansand, und wie er sich’s wünschte, findet er nun auf dem einsamsten und eindruckvollsten Friedhof der Eifel seine Ruhestatt für die Ewigkeit. Im Schatten der alten Kapelle, im Schatten der breitkronigen Ulmen- und Eschenbäume auf dem kleinen Gottesacker darf er nun ausruhen inmitten der Vulkanlandschaft, die er so sehr liebte, dass er fünfzig Jahre seines Erdendaseins in ihr lebte und sein Künstlertum ihr allein zum Opfer brachte. Hier wollte er begraben sein; denn dieser Weinfelder Friedhof und dieses Kirchlein am Totenmaar schenken der ganzen Eifel ihre geistige Prägung; hier an diesem Ort ist das herbe Gesicht der Eifel in wundervoller Übereinstimmung von Gottes Schöpfung und der Eifelmenschen verdichtet, in dieser anspruchslosen Krönung des Maarhügels ist die vollkommene Harmonie zwischen Landschaft und Menschenwerk erfüllt in der Zeugungskraft des Geistes und der Demut vor dem Schöpfer. Hier ist die rechte Ruhestatt für den Künstler, der dieses Maar und diese Landschaft immer wieder neu geschaut und erlebt und immer wieder neu gemalt hat.

Am 30. Mai 1888 wurde er in Ahrweiler geboren. Nach seiner Ausbildung an der Akademie in Düsseldorf, wo er Mitglied des kunstrevolutionären Bundes »Junges Rheinland« war, wurde er, der die Eifel von vielen Wanderungen der Jugend kannte, sesshaft im Maardorf Schalkenmehren. Dicht am Ufer baute er sich ein kleines Haus, und hier wohnte und schaffte er bis zu seinem Tode. Er blieb diesem Fleck Eifelerde treu bis ans irdische Ende.

Schon bald nach seiner Niederlassung in Schalkenmehren gehörte er wie gewachsen in diese Vulkanlandschaft, wie die windzerzausten Ebereschenbäume und die Ginsterbüsche und die grotesken Wacholdergestalten droben am Totenmaar. Aus seiner Werkstatt fiel sein Blick über das Kreisrund des Maares, über den schimmernden Vulkansee, tastete die Kraterwände mit ihren Stufenhängen hinan und endete in den schweren Wolkenzügen unter dem Himmel. Diese fast noch nicht zur Ruhe gekommene Urlandschaft mit der kargen Vegetation, mit ihrer Herbheit und Einsamkeit, mit ihrer ans Herz rührenden Schönheit, hatte es ihm angetan; sie schaut uns aus jedem seiner Bilder an. Ob er das Maar vor seinem Fenster zu allen Tages- und Jahreszeiten malte oder droben das Totenmaar mit seinem grauen Kirchlein, die verkrüppelten Kiefern, die kümmerlich aus dem Vulkansand leben, die grellblühenden Ginsterhalden, den Maarhang mit einer weidenden Kuh, mit einem pflügenden Gespann, einen Streifen Ackersaum mit Mohn und Schafgarbe und goldenem Kreuzkraut, ein karges Kornfeld unter Gewitterwolken vor dem Hintergrund der blauen Vulkangipfel, ob er ein roh umgebrochenes, steiniges Brachfeld malte, eine Weidenkoppel mit schiefem Drahtzaun, eine Distel, die unter dem Wetterschlag glutet und zittert, rotschimmernde Wildkräuter unter blauem Himmelsgewölbe: immer lebt darin die vulkanische Erde als Untergrund, spürt man das Wogen und Wirken unterirdischer Ströme; die Landschaft ist in seinen Bildern noch dem Vulkanismus unterworfen.

Gewiss, er konnte auch »lieblich« malen, Wildblumen, Disteln, Rittersporn und Sonnenblumen aus seinem Gartenwinkel in kreatürlicher Schönheit und Einheit mit dem blauen Sommertag. Das war fast ein Sich-Zurückziehen aus der bedrohlichen Umwelt in das stille Glück kindlicher Märchen- und Paradieswelt. Aber der wahre Pitt Kreuzberg hatte den Schöpfer Gott in der Landschaftsgebärde gefunden, in der unruhevollen, großartigen, geheimnisvollen Linienführung einer vulkanisch wirkenden Allmacht. Er war ein einsamer und Eigenwilliger; als Einzelgänger passte er in keine Schule und keine Kunstrichtung. Seine gegenständliche Malerei war dennoch neuartig und ungewohnt. Wer ihm einmal beim Werk zugeschaut hat draußen in der Natur, dem kleinen Mann mit dem schlohweißen Windhaar auf dem markanten Kopf und den scharfen Äuglein im verwitterten Furchengesicht, wie er in einem Erdloch saß gleich einem Gnom, so dass die Gräser und Sommerblumen riesig hoch vor ihm aufragten und die Ferne und Tiefe mit seinem Blick in einer Ebene lagen und in die Nähe gerückt waren, der konnte die Art seines Schaffens erfassen, de wurden seine Bilder zu farbigen Gleichnissen. Es sind mit dicken Pinselstrichen geschriebene Schöpfungsgeschichten. In einer von Gogh’schen Seh-Art, ein wenig gedämpfter und nordischer, hat er das Licht, die Blüten, die Wildpflanzen, die Erdlinien, die rätselvollen Maaraugen, die Bäume, die Steine, die Berge und Kuppen gebannt und ihr Wesen bezwungen. Seine nicht dunkelnde Wachstempera Technik verlieh seinen Gemälden eine lebendige Leuchtkraft von altmeisterlicher Farbigkeit. Und doch sind sie modern; sie sind nicht »schön« und »stimmungsvoll« im hergebrachten Sinne; sie sind mit den Augen unserer Zeit geschaut, sie sind Kraft und Trotz, Unruhe und Ruhe zugleich. Sie sind bewegt, sie versinnbilden eindringlich die wirkungsvollsten Augenblicke im Wechsel der Jahr- und Tageszeiten über der Heimaterde, unter dem Heimathimmel. Sie sind nicht romantisch, wie die Eifel keine romantische Landschaft ist, dafür ist sie zu herbe und schwer, zu urtümlich, zu trächtig, zu fordernd, zu unruhig und ernst. So sind auch seine besten Bilder: Schöpfungen und Geschichte und Deutungen eines einsamen Kämpfers und Künstlers, der jeden Atemzug dieser kargschönen Natur belauscht, der mit der Seele dieser heroischen Lanschaft gerungen hat und in fünfzig Jahren selber ein Teil von ihr geworden war.

 

Am Totenmaar (um 1919)

Am Totenmaar (um 1919)

Im letzten Lebensjahrzehnt, nach dem Eintritt ins biebliche Alter, quäte er sich mit religiösen Entwürfen ab, auch hier die Motive eigenwillig suchend und eruptiv auf die Leinwand werfend, ohne indessen letzte Klarheit offenbarend. Der wahre Pitt Kreuzberg war der Landschaftsmaler, der nach dem Tode Fritz von Willes dessen Nachfolge angetreten hatte, wenngleich seine Kunst von ganz anderer Art war. Aber nach Fritz von Willes Erdenabschied galt er lange als der Eifelmaler schlechthin, auch unter den jüngeren Künstlern ist keiner, der sein Schaffen so ausschließlich dieser einen Landschaft widmet. In der Eifellandschaft vernahm er den dauernden Vollzug des Schöpfungswortes: Es werde! Das war tiefste Demut und Frömmigkeit. Er hat mit seinem Schaffen keine Reichtümer erwerben können; es gab manche Zeit der materiellen Not in seinem bescheidenen Heim. Es dauerte lange, bis er Anerkennung fand; Ausstellungen in Düsseldorf, München und zu seinem 70. Geburtstag in Trier, dazu kleinere in Wittlich und Daun machten ihn bekannt, auch auf den jährlichen Ausstellungen der »Künstlervereinigung Eifel-Ardennenl« war er stets mit einigen Werken vertreten. Aber er ist arm gestorben, sein letzter Besitz ist das Stückchen Friedhofserde am Totenmaar. Seine Gestalt gehörte zur Maarlandschaft, gehörte besonders auch ins Straßenbild der Kreisstadt Daun. Da kannte ihn jeder mit seinem silbernen Kopf, mit seinem Rollkragenpullover aus heller Schafwolle und seiner Manchesterhose. Diese Gestalt wird fortan fehlen; aber seine Bilder werden bleiben und noch lange viele Menschen erfreuen und stärken.


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