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Der alte Mann und das Maar

Kunstmaler Pitt Kreuzberg bis zur letzten Lebensstunde mit den Maaren verbunden

Pitt Kreuzberg nach einem Gemälde von Curtius Schulten (VI 1964)

Hubert Mayer

Eine kleine, aber genau wie der Lebensablauf des Verstorbenen war, das Eifeler Leben widerspiegelnde Trauergemeinde gab mit seinen Angehörigen dem 78jährigen Pitt Kreuzberg das Geleit, als er vom Dorf Schalkenmehren, seiner Wahlheimat, zum oberen Maar, nach Weinfeld, hinaufgefahren wurde. Im Schatten der kleinen Totenkirche am Weinfelder Maar, in der Gemeinschaft der Gräber des kleinen Friedhofs, fast genau in Blickrichtung zur von sieben Schwertern durchbohrten Mater Dolorosa in der Weinfelder Kirche, wurde Pitt Kreuzberg zu letzten Ruhe gebettet.

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatte der Maler mit der Eifel und in der Eifel gelebt. Schon vor dem ersten Kriege war er in die Eifel gekommen und schon in den Vorkriegsjahren hinter der Jahrhundertwende hatte er festes Quartier im Dorfe Schalkenmehren.
Wenn man die Jahre zurückrechnet, die Pitt Kreuzberg mit den Menschen am Maar gelebt und durchlebt hat, dann begreift man, dass es heute im Dorf am Maar nur einige wenige gibt, die noch die Tage erlebt haben, in denen zum ersten Male der Maler hierher kam. Das war damals für Schalkenmehren ebenso wenig wie für seine weitere Eifeler Umgebung eine Zeit der Repräsentation nach außen hin. Die Eifel war um diese Jahre noch keineswegs attraktiv und man konnte sich damals keineswegs schon allein damit einen förderlichen Nimbus versorgen, dass man eben ein »Eifelmaler« oder ein Eifel-Künstler schlechthin war. Aber Männer, die wie Pitt Kreuzberg damals in die Berge kamen, begannen dann aus dem unerschöpflichen Brunnen der Naturkraft zu zehren und sie profitierten für Leben und Kunst unbemerkt viel mehr, als sie es Jahrzehnte später mit dem Aushängeschild der allbekannten und attraktiv gewordenen Eifel als Werbung für ihr künstlerisches Handwerk hätten nutzen können.

Es war damals ja noch nicht einmal die Zeit der Entdeckung der Eifel so richtig abgeschlossen und keineswegs konnte man schon von der Auferstehung der Landschaft sprechen, die bald mehr und mehr gepriesen wurde als eine »von besonders herber Schönheit«. Wenn er so gewiss also auch zu den Pionieren der Eifel zählt, bestimmt aber zu den Pionieren in der Kunst um die Eifel, gleich wie Fritz von Wille und Carl Nonn, dann ist er darum doch kaum mehr als dies das Zusammenleben mit seinen Eifelern notwendig gemacht hätte, im öffentlichen Leben der Eifel eingetreten. Er war schließlich, das kann man ihm sogar als Charaktereigenschaft nachrühmen, die manchem seiner Besucher nicht gerade angenehm erschienen sein mag, sehr in sich verschlossen. Von ihm, der ja selbst, aus der Ahrgegend in Rheinnähe stammend, ein Eifeler war, einer von jenen, von denen man in der Eifel sagt, man müsse mit ihnen zuerst einen Sack Salz zusammen gegessen haben, ehe man ihn ganz kennen würde. Das schloss freilich nicht aus, dass er sofort offene Hand und offenes Herz dem entgegenbrachte, von dem er in kurzem Zusammensein bald erkannt hatte, dass er ein Mann ehrlichen Herzens war.

»Darum bin ich damals in die Eifel gezogen«, hatte er uns vor etwas mehr als einem Jahr vor seinem Tode bei unserem letzten Besuch im Malerhäuschen am Maar gestanden, »weil ich merkte, dass hier die Menschen ehrlicher sind als anderswo.« Pitt Kreuzberg hat schon seinen Kummer mit den Menschen seines Zeitalters gehabt; am meisten freilich mit denen, die nicht zu seiner Eifeler Lebenswelt gehörten. Kein Wunder, dass ein ins hohe Alter kommender Mann in härtestem Widerspruch gegen eine Welt stand, die nach mehreren lebenszerfetzenden Kriegen und zerstörenden Zeitepochen wiederum begann auf Mittel und Dinge zu sinnen, mit denen Zerstörung noch grausamer, Not und Elend noch größer gemacht werden konnten und dadurch die der von Kreuzberg so sehr als Lebensanschauung gesehene Friede noch weiter abgerückt wurde.

 

Schalkenmehren mit Maar
Foto: Lenertz

 

Es war in den letzten Jahren seines Lebens mit dem alten Mann vom Maar kaum mehr ein Gespräch, in dem er nicht aus tiefstem Inneren heraus seine Verachtung kundtat gegen das Zeitalter der Atombombe, die Jahreszeit, in der auch am Eifelhimmel sich verschlingende Kondensstreifen kampfsuchender Starfighter.

Es war, als wären eigens zu seiner Bestattung alle die seinem feindlichen Geist widerstrebenden Mechanismen unseres Zeitalters aufgestanden, als über dem kleinen Leichenzug, der aus dem Dorf den langen Weg zur Höhe des Totenmaares hinaufzog, fast unaufhörlich mit jaulenden Gekreische Düsenjäger den sonst vorfrühlingsklaren Eifelhimmel durchzuckten. Und, wenn wir schon, mit dem Geist des Verewigten denkend, Symbole sehen oder Zeichen der Zeit als solche deuten wollen: in dem Augenblick allerdings, wo die Dorfnachbarn aus Schalkenmehren Pitt Kreuzbergs Sarg durch die Enge der Friedhofstüre trugen, waren die bösen Geister aus Stahl und Feuer vom Himmel gewischt. Das einzige, was sich nach den Gebeten des Priesters und den Gedenkworten seiner Freunde über dem Grabe erhob, war das Rascheln der verdorrten Eschenblätter in den Bäumen über seinem Grab und schließlich der mutige Gesang einer Lerche, die siegesbewusst in den jetzt so friedlichen Himmel hinaufstieg.

An seinem offenen Grabe hatte Bildhauer Hannes Scherl aus Wittlich im Namen der Trierer Vereinigung von Künstlern dem Maler einen Abschiedsgruß gesprochen. »Er malte mit den Lichtfarben des ersten Schöpfungstages« sagte der Bildhauerfreund. »Aber er malte auch das Wetterleuchten und den Zorn der Natur im Gewitter«. »Er war still, groß, fromm und demütig«, schilderte er ihn, der so vielen nachwachsenden einer jüngeren Künstlergeneration Freund und Rater gewesen war. Einige dieser jüngsten und dieser außenseitigsten seiner Freunde, die nicht zur offiziellen Gilde der Professionellen gehören, die aber von dem demütigen und selbstlosen Pitt Kreuzberg, »weil sie Künstler sind«, anerkannt waren, standen ergriffen und dankbar am Grabe des alten Freundes. Für die ältere Generation der Maler in der Eifel sprach Curtius Schulten aus Blankenheim aus, was Pitt selbst so oft immer wieder bekannt hatte: »Wie glücklich Du warst, aus dieser großen Landschaft das zu machen was Du in Deinen Bildern über sie ausgesagt hast«. Schulten schilderte in seiner Freundschaftsansprache in die offene Gruft hinein Teile aus Kreuzbergs Leben, wie er, eine bekannte Erscheinung im Bann der Maardörfer, auf einem leichten, zweirädrigen Karren sein Malzeug hinter sich herziehend, durch die Landschaft zog und dann dort verweilte, wo er einen Winkel fand, den zu malen und zu zeichnen er wert hielt.

Doch der Maler war schließlich nun doch, wenn auch ganz ohne sein Wollen, in etwa zum Aushängeschild der Eifel geworden. Der Dauner Landrat Urbanus, der an seinem Grabe auch als Vertreter des Eifelvereins sprach, drückte dies aus. Pitt Kreuzberg habe mehr als ein halbes Jahrhundert der Eifel gewidmet. Die Eifel wisse ihm dies zu danken. Ein Denkmal habe er sich selbst gesetzt in den zahllosen Bildern, die es im Lande reihum von ihm gibt und die immerdar gleichzeitig festhalten werden das Andenken an ihn, den Eifelmaler wie auch an die Landschaft, die ja nun in Kreuzbergs Bildern auch in ihrer geschichtlichen Umgestaltung und Fortentwicklung festgehalten ist.

Sein Leben hat sich in vielem erfüllt. Glücklich, dass sich auch ein schwieriger Wunsch ihres Vaters so ohne Umstände habe erfüllen lassen, erzählte seine Tochter von einer Bitte, die er einmal aussprach:
»Wenn ich aber mal sterbe, dann müsst ihr mich noch einmal über alle die Eifelhöhen fahren.« Pitt Kreuzbergs Leben endete im Heim seiner Tochter am Rhein. Von dort aus in das Ahrtal hinein und schließlich über zahlreiche Eifelhöhen hinweg bis an sein geliebtes Maar, fuhren sie ihn an diesem, sonnigen Februarmorgen zu seiner einzigen echten und letzten Heimat.


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