Eine Symbiose der Eifel

Ginstergold

Ausstellung Wilhelm Degode und Hermann Ritter
im Naturkundemuseum Gerolstein, 19. Juni bis 16. August 1998

 

Von Wilhelm Degode auf der Rückseite handschriftlich vermerkt
»Ginstergold - 1903«

 

Veröffentlicht in dem Buch, Eifeler Skizzen, Band II, von Hermann Ritter, 1904

Ginstergold

Maler Breitfuß dachte an den seligen Christoph Kolumbus, während er langsam ein Bein vor das andere setzte und schwitzend den zur Höhe führenden Boden der Landstraße folgte. Zwar hatte dieser glückliche Entdecker, soviel historisch bekannt ist, niemals einen mit Tuben beschwerten Malkasten steile Berge hinaufgebukelt, oder sich für das Auffinden malerischer Motive interessiert. Jedoch war er, wie Breitfuß, eben ein Entdecker, ein Mann, der mit aller Gewalt etwas Neues, nie Gesehenes auffinden wollte. Auch hinsichtlich der Zwangsvorstellung, die ihn auf Entdeckungspfade trieb, fand sich Breitfuß durchaus ähnlich dem großen Genuesen. Dieser hatte sich in den Kopf gesetzt, linksherum nach Indien zu fahren, er hatte die fixe Idee, er müsse endlich einmal ein malerisches Motiv finden, dessen Ausführung imstande sei, alle Darbietungen zeitgenössischer Landschafter aus dem Felde zu schlagen. Wie Kolumbus hatte Breitfuß wenig Zeit mehr übrig für das Auffinden des großen Glückes; auch er war alt geworden in vielen nutzlosen Bemühungen. Die Geldmittel waren bei ihm ebenfalls knapp, was für die Fahrt nach den unbekannten Welten einst die drei lumpigen Schiffchen bedeuteten, das war für ihn der Hundertmarkschein, den er kürzlich unverhofft verdient hatte durch Abkonterfeien des breitspurig roten Gebäudekastens einer Zichorienfabrik, die ihre glücklichen Aktionäre wünschten in stimmungsvollen Plakaten zu verewigen.

In Besitze dieses Hundertmarkscheins, den ein gefälliger Zufall nicht sofort durch dringende Rechnungen aufsaugen ließ, wollte Breitfuß einen letzten Versuch machen, das Ideal seines Lebens zu verwirklichen, den Stoff zu finden für einen großen, packenden Fetzen, der Aufsehen machen und ihn mit einem Schlage aus den Niederungen seines bisherigen Malerlebens auf die Höhe führen sollte, wo Anerkennung und goldener Lohn zu Hause sind. Mit der Gegend hatte er es soweit ganz gut getroffen. Sie war eine malerische, noch gänzlich unentdeckte Ecke des Gebirgslandes, eine Landschaft, in der, wie er täglich beobachten konnte, die Gestalt eines lodenbekleideten Fremdlings mit Malkasten, Schirm und Stuhl auf dem Rücken das Staunen der älteren Leute hervorrief. Das Wirtshaus war billig und gut und bot alle Aussicht auf eine vierwöchentliche Dauer der Entdeckungsfahrten. Freilich hatte die nähere Umgebung des Ortes ihn dem Ziele seiner Wünsche noch nicht näher gebracht. Motive gab es zwar genug dort, aber es waren Publikumssachen, wie sie Breitfuß schon seit Jahren des lieben Geldes wegen zurechtgestrichen hatte! Alte Häuser mit einem Blütenbaum, neben dem Dache, Brückenbogen, unter denen ein rauschender Bach durchfließt, Partien mit Butterblumen und ähnlichem Kram. Aber eine große Idee war ihm noch nirgendwo aufgegangen, deshalb stieg er heute einmal energisch im Schweiße seines Angesichts auf zur Höhe, ohne links und rechts zu blicken und sich von den Ebereschen, die Blütendolden und mattgrünes Blattwerk selbstgefällig an der Landstraße zur Schau stellen, irre machen zu lassen.

An einer Wegebiegung rastete Breitfuß für einen Augenblick. Er fuhr mit dem Taschentuch über das gebräunte, von einem schwarzen Bart umrahmte Gesicht, schob den Hut zurück von der Stirn, rückte sich den auf die breiten Schultern drückenden Malkasten noch einmal zurecht und hielt Umschau. Zu seiner Rechten trat zwischen nackten Hängen ein holpriger Fahrweg an die Landstraße heran, welcher augenscheinlich einen kürzeren Anstieg zur Höhe bot. Dem beschloss er nachzugehen, und so setzte er sich denn nach einem Seufzer zwischen eingekrusteten Radspuren weiter in Marsch.

Mit einem Ausruf der Verwunderung blieb er nach einigen hundert Schritten wieder stehen. Heiliger Lukas! Da war ja, was er suchte, das Niegesehene, Niegemalte. Das war ja eine märchenhafte Entdeckung. Eine versteckte Talschlucht stieg da plötzlich vor ihm auf, mit Hügeln, bedeckt von Blühendem Ginster in unglaublicher Üppigkeit. Goldene Blüten wogten an den Lenden der Berge herab und erstickten fast das hier und da noch sichtbare Braun toten Heidekrautes. Goldene Polster türmten sich auf am Wege, Gold lag verstreut auf den schmalen Grasborten vor den Ginsterbüschen. In fieberhafter Eile stieg Breitfuss auf dieses Märchenreich. Alle zehn Schritte rastete er, um rückwärts blickend Hänge und Weg mit leuchtenden Augen zu mustern.

Hier war die Stelle, wo er malen musste, hier lag ein Motiv von großartiger Bildwirkung. Er kletterte den grasigen Hang über dem Wege hinauf, trat suchend und musternd einige Schritte vor- und rückwärts, bückte sich, bog sich zur Seite. Famos! jubelte er. Von rechts fiel der Berghang steil zum Wege herab, überall herrschte der Ginster an diesem Hange.

 

Ginsterblüte in der Eifel (1903)

 

In der Ferne verschmolz sich sein Gold mit der Farbe von Erdreich und Heide zu einem dumpfen Gelb. Näher heran wurde seine Farbe leicht braungelb abgetönt, und hier im Vordergrund leuchtete sie wie blendendes Gold in unendlicher, üppiger Fülle. Nur ein paar dunkele, vereinzelte Kiefern reckten sich auf den Goldfluten und zeichneten sich mit buschiger Silhouette scharf ab von der grauen Luft, von dem bedeckten Himmel, der in seiner Verschleierung dieses Ginstergold so wunderbar leuchtend und in der Ferne so fein abgetönt hervortreten ließ. Aber das Beste war der Vordergrund, der das Bild, wenn es ihm gelang, zu einem Schlager machen musste. Der Hang brach hier schroff über dem Wege ab und zeigte unter herabtropfenden Ginsterblüten das nackte, steinige Erdreich des Berges. Der Weg unter ihm drang mit lehmigen Krusten breit in die goldene Herrlichkeit hinein, um nach wenigen Schritten zu verschwinden zwischen mannshohen, gelbflockigen Büschen und erst im fernen Hintergrund, wie erdrückt zu schmalen Streifen aus diesem Goldlande sich herauszuwinden.

Das musste etwas Großes werden. Das war das langgesuchte Glücksmotiv, dessen Gold ihn verheißungsvoll anlachte. Das gab ein packendes Bild, das bannen musste in der jauchzenden Frühlingsherrlichkeit, die hier die finstere Erde des Heideberges überflutete, die aufjubelte wie der verkörperte Sang vom siegreichen Lenz im Gebirge.

Goldene Berge! Er jubelte das Wort heraus. Da war auch schon der Titel, der Name des Bildes, nach dem suchend er sich sonst so oft den Kopf zerbrach. Mit eiligen Händen richtete Breitfuß sich seinen Sitz zurecht, klappte er den festgeschnallten Kasten auf, richtete er die Leinwand und gab Farben auf die Palette. Nach kurzem Fixieren begann er mit sicherer Hand dann die Umrisse seines Bildes in Braun aufzuzeichnen. ohne zögern legte er Strich an Strich; jede Linie saß, nichts war zu ändern. In schönster Schöpferlaune fühlte er sich bald, und so hub er, eifrig zeichnend, an, den alten Sang zu pfeifen von Mantua und den Banden, in denen der treue Hofer lag, ein Lied, das von jeher der Dolmetsch seiner glücklichsten Gefühle gewesen war. So überhörte er fast, dass polternde Schritte den Weg herabkamen, und er wandte erst dann den Kopf und blickte durch die gelben Blütenreiser zur Seite, als dort in den groben Lauten des Landes ein Gespräch vernehmbar wurde. Zwei alte Bauern standen da und schielten nach dem Bild. Der eine sprach nach einer Weile: »’s ist doch eine Schand’, dass so’n kräftiger Mensch nichts Besseres zu tun weiß.« Nach einer weiteren Weile brummte der andere: »Ja, ja, es gibt allerhand Liebhabereien.« Dann polterten sie weiter den Weg hinunter.

Breitfuß lachte für sich ob dieser biederen Landbewohner. Dann flog’s wie Wolkenschatten über sein fröhliches Kindergemüt. Hatten die Kerls eigentlich recht? War es in der Tat nicht ein schlechtes Geschäft, das er bisher betrieb? War es nicht ein ewiges Ringen mit den Sorgen des Alltags, die man überwand Jahr für Jahr im verzweifelten Hinblick auf ein hohes Ziel? Würde er das Ziel erreichen? Würde er mit diesem Ginster einmal etwas Außergewöhnliches, Bedeutendes schaffen können? Die Mutlosigkeit kroch langsam wieder einmal an ihn heran, das Verzweifeln am eigenen Können, das die empfindliche Künstlernatur so oft wie aus tückischem Hinterhalt heraus niederringt. Er ließ den Pinsel sinken und sah zweifelnd auf Zeichnung und Landschaft. Die Zeichnung war richtig, das Motiv unstreitig packend. Aber diese Fülle des Ginsters, diese feinen Schattierungen, die Stimmung, die in dem übermütig auf die dunkele Heide gestreuten Golde lag! Würde er das fassend und packend wiedergeben. Eine Weile zweifelte er an der Möglichkeit. Aber der Ginster lockte ermutigend wie eine goldene Weissagung. Das seltsam Berauschende des Bildes vor ihm hob Breitfuß wieder auf die Höhe des ersten Schaffensmutes. So begann er, die Luft hinzuarbeiten, den schwierigen Hintergrund, wo das Gelb allgemach mit dem düsteren Boden und dem verschleierten Licht in matter Farbe verschwamm, sorgfältig auszumalen und abzustimmen. Farbfleck um Farbfleck saß, instinktmäßig mischte er die Farben auf die Palette, traf er zu seiner eigenen Verwunderung stets die richtigen Töne und Abschattierungen. Wie eine Inspiration kam es über ihn, es war ihm, als greife er mit über natürlichen Händen in die Landschaft und zwinge ihre Farben auf die Leinwand. Stundenlang malte er ohne aufzublicken, tupfte, strichelte, kratzte er an Ginsterwellen und Heideborten. Unzähligemal begann er den Sang vom treuen Hofer. Er war gerade daran, den Vordergrund, dessen Ausführung er bei gleicher Luft am anderen Tage vorzunehmen gedachte, in breiten, gelben Strichen hinzusetzten, den Weg mit seinen Radspuren in die goldene Wildnis hineinzudrängen, als er leise Schritte hinter sich vernahm.

 

Ginsterberg (1904)

 

»Guten Tag,« sprach auf einmal hinter ihm eine Männerstimme mit etwas fremdartiger Betonung. Breitfuß hob das im Arbeitseifer strahlende Gesicht und sah den Fremden an. Ein älterer Herr in bunter Weste, auf der eine breite Goldkette baumelte, stand hinter ihm, auf einen Schirm gestützt und sah mit einem harten, gebräunten Gesicht, aus dem ein paar grauer Augen in seltsamen Lachen herableuchteten auf ihn und sein Werk.

»Guten Tag,« sagte nochmals der Fremde. »Guten Tag, verehrter Herr,« antwortete Breitfuß vergnügt. »Sie malen den Ginsterberg,« meinte der Fremde. »Das ist sehr schön.«

»Das wird noch schön,« sagte Breitfuß. Er war sonst kein Freund von Gesprächen mit den naiven Bewunderern der Studienreise, aber er befand sich angesichts seiner gelungenen Arbeit in glücklicher Geberlaune. »Sehen Sie, hier der Vordergrund muss noch sorgfältig ausgeführt werden. Da muss man die Blüten, die Steine hier am Hang greifen können. Man muss sehen, wie das Gold herab rieselt. Dafür ist es heute zu spät geworden. Aber bei gleicher Beleuchtung denke ich morgen mit allen Einzelheiten fertig zu werden.« Er betrachtete zärtlich seine Arbeit und fuhr fort, mit spitzem Pinsel Tüpfchen in die Landschaft zu setzten.

Der Fremde sah wie gebannt auf die Arbeit. »Sie malen davon wohl ein großes Bild?« sprach er nach längerer Pause. »Gewiß, ich denke einen recht großen Fetzen nach dieser Studie zu malen,« erklärte Breitfuß fröhlich. »Wie teuer wohl?« frug lakonisch der Fremde. »O, ein paar Tausender wird es wohl einbringen.« Der Fremde nickte ernsthaft. »Beautiful,« murmelte er. »Verkaufen Sie auch dieses Bild hier,« meinte er nach einigem Räuspern. »Die Studie? Nein, das heißt erst dann, wenn ich ein größeres Bild nach ihr gemalt habe.« »Wieviel?« »Drei- bis vierhundert Mark muss immer die Studie kosten.« In größter Seelenruhe machte Breitfuß diese Angaben, während er weiter strichelte und tupfte. Er hatte neugierigen Schlachtenbummlern sehr oft solche Zukunftspreise genannt.

Der Fremde kramte umständlich in seinen Taschen und zog eine Börse hervor. Ein leises metallisches Klingen ließ den Maler plötzlich herumfahren. Der wunderliche Fremdling zählte Scheine und Goldstücke in die linke hohle Hand. Dann sah er den Maler entschlossen an. »Ich kaufe dieses Bild hier. Ich gebe fünfhundert Mark, dann lassen Sie es mir gleich. Ich muss abreisen nach Amerika in Acht Tagen, dann will ich das Ginsterbild mitnehmen. Sie sind doch einverstanden, nicht wahr? Hier ist das Geld, da ist das Bild, das Geschäft ist gemacht.«

Er drückte dem verflüfft dasitzenden Breitfuß das Geld in die Hand, der das Gold verwirrt anstarrte, als sei es soeben von diesen Sträuchern geschüttelt worden. »Aber verehrter Herr, dass geht doch nicht so plötzlich.« Breitfuß war errötet in Verlegenheit und glücklicher Bestürzung. »Das Bild ist ja noch gar nicht fertig.«

»Macht nichts. Morgen gehe ich mit und sehe, wie es fertig wird. Ich will es kaufen und gleich hier bezahlen. Nehmen Sie das Geld, bitte, ich muss das Ginsterbild haben. Ich habe zuviel pleasure mit ihm. Sie malen sich noch einmal die Studie.« Der sonderbare Mann verzog sein hartes Gesicht zu einem überredenden Lächeln.

Der verwirrte und verblüffte Breitfuß steckte das Geld ein, nahm seine Sachen zusammen und schritt neben dem Fremden langsam den Weg hinab. »Das war mir ein großes Glück, dass ich Sie dort traf,« schmunzelte dieser. »Ich bin geboren in dem Ort, wo sie wohnen, lebe seit zwanzig Jahren in Amerika und habe die Verwandten einmal besucht. Der Ginsterberg ist für mich eine Erinnerung an die Jugend, eine schöne und liebe. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir das Bild lassen, ich bin glücklich über das Ginsterbild. Das soll drüben in Chicago im Salon hängen und mich immer wieder erinnern mit den goldenen Blüten an die Heimat und an die jungen Jahre. Es darf Ihnen nicht leid tun, dass Sie mir es verkaufen, ich habe zuviel Freude mit dem Bild.«

Der Alte sah den Maler an mit glücklichen Kinderaugen, die wunderlich abstachen von seiner eckigen, im Erwerbskampf verhärteten Gesichtszügen, und Breitfuß, den schon eine leichte Wehmut beschleichen wollte über die Hergabe des in seltenen Stunden geborenen Werkes, über die rasche Bereitwilligkeit, mit der ihn die Dürftigkeit zwang, eine Studie sofort zu Geld zu machen, fand rasch sein Künstlerhochgefühl wieder im Anblick dieser frohen Augen.

Der selige Kolumbus fand auch nicht sofort das gesuchte Große. Einige bescheidene Inselchen waren sein erster Lohn. Breitfuß wollte mit ihm für den Anfang hochzufrieden sein. Er malte nochmals die Studie für den großen Wurf, zu dessen Vorbereitung er ja jetzt so schöne Mittel hatte. Und gelingen musste der große Wurf, denn noch flammte ja dort hinten der Ginster auf im goldenen Lichte fröhlicher Verheißung.

Hermann Ritter

 

Vor dem Hotel Heck, 1902
u. a. Herr Heck, W. Degode, H. Ritter


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