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Erläuterung zum Gemälde

Kreuzigung (1955)
WV-Nr: 55-016-G
Jahr: 1955
Titel: Die große Kreuzigung
Technik: Tempera auf Spanplatte
Maße: 153 x 99 cm
Bezeichnet: signiert und datiert unten links »Pitt 55«

Pitt Kreuzberg lässt den Betrachter seines Gemäldes »Die große Kreuzigung« mitten ins Bildgeschehen eintauchen und Augenzeuge des Geschehens während der Todesstunde Christi werden. Das eindrucksvolle Gemälde lässt denjenigen, der aufmerksam den kräftigen Pinselstrichen des Malers durch das ganze Bild hindurch folgt, spüren, wie tief Kreuzberg mit der christlichen Religion verwurzelt war. Leid, Tod, Trauer, Finsternis erfahren ein Ende im Glauben an die Auferstehung und im Glanze eines Lichtes, das den Menschen ein Weiterleben im Reich Gottes erahnen lässt.

Ins Zentrum des Bildes rückt Kreuzberg den geschundenen Körper des Heilands, der nur an den Lenden mit einem notdürftig verknoteten, fast transparent wirkenden blutbefleckten Tuch bedeckt ist.

Blutverkrustetes Haar, die von zuvor noch pulsierendem Leben gerötete Stirn, bereits tief in die Höhlen zurückgewichene, für immer geschlossene Augen, bleiche Lippen, die nie wieder zu den Menschen sprechen werden und ein spitz zulaufendes Kinn kennzeichnen das ausgemergelte Gesicht. Wie auf ein Kissen gebettet »ruht« der nach rechts geneigte Kopf auf einem goldgelben Nimbus.

Unterhalb des Kopfes fast genau in der Mitte des Gemäldes klafft eine riesige herzförmige blutrote Wunde, die den bleichen ausgedorrten Oberkörper entzwei zu reißen droht. Man sieht nur noch die großen Rippenbogen, da das weit geöffnete Herz Jesu die Brust des Getöteten fast ganz verdeckt. Mit dem Goldgelb, das er bereits zur Gestaltung des Nimbus verwendete, rahmt Kreuzberg es ein und weist so auf seine göttliche Bedeutung hin. Heilig sind die von Herzen kommenden Botschaften Jesu, die besonders eindrucksvoll in der Bergpredigt von ihm verkündet wurden (Mt 5-7). Die Farbe des Herzblutes ist ein Lebenssymbol. Der Seele des Menschensohnes kann seine körperliche Vergänglichkeit kein Ende bereiten. Sie lebt in all denen weiter, die offen sind für seine Worte. Und über den Tod hinaus offen für die Sorgen der Menschen bietet Jesus den Augenzeugen des Geschehens und somit auch dem Betrachter des Bildes sein Herz dar.

Der Schöpfer des Gemäldes sorgt dafür, dass der von Wunden übersäte geschundene Körper an keiner Stelle von Nägeln durchbohrt wird. Lediglich der wuchtige braune Querbalken des Kreuzes gibt einen Hinweis auf die Todesart Jesu. Kreuzberg lässt es nicht zu, dass Körper und Seele des Erlösers brutal an einem Kreuz festgenagelt werden, um für immer aus den Augen und Gedanken der Menschen zu verschwinden.

Die zuvor himmelwärts gestreckten Arme sind oberhalb der beiden Enden des Querbalkens in Höhe der Ellbogen grausam gebrochen, sodass Unterarme und Hände kraftlos senkrecht nach unten baumeln. Dadurch, dass die linke Hand Jesu verdeckt ist, wird die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den in Herzhöhe blutrot aufgerissenen rechten Handrücken und die langen leblosen Finger gelenkt, die zu Lebzeiten voller Hingabe so viele Menschen gesegnet und geheilt haben.

Auf der rechten Seite, unterhalb der Brust, befindet sich ein weiteres rotes, in der Mitte sonnengelbes Wundmal, das von einem Lanzenstich herrührt. Nur so konnte man überprüfen, ob der Volksaufwiegler Jesus von Nazareth für immer schweigen wird.

Unterhalb der rechten Achselhöhle taucht ein lang gezogenes, blasses Gesicht eines Mannes auf. Nachdenklich und etwas skeptisch wirkt sein Blick, so als scheine er das vor seinen Augen geschehene Unrecht nicht zu begreifen. Dem Betrachter seines Bildes jedoch öffnet Kreuzberg die Augen für das große Geheimnis, das hinter dem Geschehen steht. Dabei verwendet er geläufige Symbole.

In Höhe der durch die Lanze verursachten Wunde (unterhalb des Männerkopfes) lässt er einen gewaltigen Wasserstrahl hervorbrechen, der sich auf einen bleichen nackten jungen Mann ergießt. Mit hilflos herabhängenden Armen kniet er traurig zu Füßen Christi. Es handelt sich um Johannes, einen Jünger, den Jesus laut biblischer Überlieferung »sehr liebte«. Er erträgt das Geschehen nicht mehr und hat den Kopf - so wie Jesus - nach rechts geneigt. Seine Augen sind traurig zu Boden gerichtet. Noch im Sterben kümmert sich Jesus um ihn und richtet seinen rechten Zeigefinger auf den jungen Mann, über dessen linke Schulter ebenfalls ein Hauch des »heiligen« Goldgelbs streicht. Kreuzberg hat eine gesichtslose in einen dunklen Umhang gekleidete gesichtslose Gestalt schützend hinter ihn gestellt.

Aus dem Wundmal der rechten Hand Christi tropft Blut über den Umhang in ein wild tosendes in Blau und Gelbtönen gemaltes Meer am unteren Bildrand. Ohne Wasser ist kein Leben möglich. In der unteren Bildmitte zu Füßen des Heilands teilt Kreuzberg das Meer. In einem Wirbel aus Wasser und bleichgelbem Licht, hinter dem die Füße Jesu ganz verschwinden, lässt er an dieser Stelle den Heiligen Geist in Form einer weißen Taube mit weit ausgebreiteten Flügeln über dem Wasser aufsteigen. Diese scheint dem Betrachter aus dem Bild heraus in seine Realität entgegen zu fliegen. Wasser und Taube weisen auf die christliche Taufe hin: Menschen, die sich zu Christus und seinen Lehren bekennen, befreien sich beim Eintauchen in das Taufwasser bzw. während des Übergießens mit geweihtem Wasser von belastenden vergangenen Taten und Erlebnissen und beginnen als neue Menschen ein Leben im Sinne Jesu.

Auf den Wellen schaukelt unruhig ein feuerrotes Boot. Wasser spritzt über den Bootsrand ins Innere. Inmitten des Bootes steht aufrecht und ganz ruhig mit verklärtem Gesicht die Mutter Jesu: Maria. Noch im Tode hält Jesus seinen linken Arm schützend über sie und stützt ihren Kopf von hinten sanft mit seiner linken Hand. Mit der Gestik der Hände Jesu weist Kreuzberg darauf hin, dass Jesus eine Verbindung zwischen Maria und seinem Lieblingsjünger unmittelbar vor seinem Tode geschaffen hat, damit sie nach seinem Ableben füreinander da sind. (Joh19,26f )

Maria scheint jedoch in der Todesstunde im Miterleben des unermesslichen Leidens ihres Sohnes stärker zu sein als Johannes. Obwohl die Haltung ihrer Arme der des jungen Mannes ähnelt, steht sie aufrecht. Das Schaukeln des Bootes bringt sie nicht zum Wanken. Sie vertraut fest auf Gott. Sie ist auch nicht blass vor Trauer, sondern voller Leben, das sie vertrauensvoll in Gottes Hand gelegt hat. Kreuzberg tönt ihren schlanken jungen Körper rot und hüllt ihn in ein stellenweise zart hellviolettes fast transparentes Gewand. Umrahmt von flachsfarbenem Haar strahlt das rosige Gesicht Marias Frieden aus. Ihre Augen und Lippen sind meditativ geschlossen. Ein leichtes Lächeln umspielt ihren Mund, als wisse sie schon, dass Tod, Trauer und Finsternis sie nicht ängstigen müssen, obwohl sich hinter den vier Personen, mehr als die Hälfte des Bildes beherrschend, schwarzblaue Dunkelheit und Trostlosigkeit ausgebreitet haben.

Die zur Todesstunde Jesu herrschende totale Sonnenfinsternis hat Kreuzberg schwarz und kreisrund hinter Jesu linken Ellbogen festgehalten. Der Finsternis steht der goldgelb leuchtende Nimbus auf gleicher Höhe gegenüber. Unheilvoll dehnt sich die Schwärze unter dem Querbalken des Kreuzes aus. Planeten, Kometen und Sonnen toben durch das Dunkel; links unterhalb des kleinen Fingers der rechten Hand erscheint der Saturn, rechts unterhalb des Querbalkens die Mondsichel und oberhalb des Bootshecks die Sonne. Die Stimmung ist so aufgewühlt und bedrohlich wie das Meer im unteren Bildviertel. Fast erscheint es so, als ginge mit Jesu Tod die ganze Welt unter. Doch auf den Wellenkronen spiegelt sich gleißend gelbes Licht. Ein Blick gen Himmel zeigt, woher die Quelle des Lichts und des Lebens kommt.

In einer kraftvollen kreisförmigen Bewegung schafft Kreuzberg eine Verbindung vom Geschehen auf der Erde zum Überirdischen. Der Kreis beginnt in der Form des feuerroten Bootes, setzt sich ansatzweise hinter Jesu Beinen, Johannes und der dunkel gekleideten Gestalt fort, tritt bräunlichrot, begleitet von sich parallel dazu bewegenden Kometen, aus dem unteren Bilddrittel aus und tritt in veränderter Farbe, fast überirdischkobaltblau unterhalb des Querbalkens wieder ins linke obere Bilddrittel ein. Das Blau wird durchzogen von transparent hellvioletten Wolkenstreifen, deren Farbe sich überirdisch in Marias Gewand widerspiegelt. Schließlich verschwindet der Kreis in einem von rechts oben kommenden mächtigen weißgelbem Lichtstrahl, welcher bis zum Querbalken des Kreuzes reicht. Seine Farben scheinen auf Jesus, Maria und Johannes herab und werden von den Wellen des Meeres zurückgeworfen. Die Menschen, die fest auf Jesus vertraut haben, leben zwar noch ihr Erdenleben, aber ein Platz im Reiche Gottes ist ihnen schon gewiss. Zusammen mit der Taube bewegt das Licht sich auf den Betrachter zu, spiegelt sich in seinen Augen wider und zieht ihn mitten ins Geschehen hinein.

Vermutlich wollte Kreuzberg den Sehenden zeigen, dass Menschen, die Jesu Botschaft in ihren Herzen tragen, in ihrem Leid und im Tod nicht alleine gelassen werden, denn sie dürfen auf Erlösung und ein neues Leben im Reich Gottes hoffen. Dieses Reich, das Jesus seinen Jüngern in zahlreichen Gleichnissen nahe zu bringen versuchte, lässt der Maler am Fuße des gleißend gelb leuchtenden Lichtstrahls in weißen, rosefarbenen und zartvioletten Tönen über dem Querbalken stadtähnlich schemenhaft vor den Augen des Betrachters erstehen.

In einer gedachten senkrechten Linie durch die Bildmitte verbindet Kreuzberg von unten nach oben das Symbol des Heiligen Geistes, der dem Menschen erstmals zu Beginn seines religiösen Lebens in der Taufe begegnet, den Lanzenstich, der den irdischen Tod bestätigt, das offene Herz Jesu, das die unsterbliche Seele symbolisiert und schließlich ein Symbol eines kleinen goldgelben Kreuzes, das über dem Heiligenschein bereits unauffällig und schwerelos ins Licht hineingeschwebt ist und die Hoffnung auf Auferstehung von den Toten symbolisiert, miteinander. Das Kreuz, an dem Jesus den Tod fand, hat ihn nicht halten können. Der Kreis seines Lebens hat sich mit der Heimkehr zu seinem Schöpfer und Vater vollendet.

Text: Marina Greis, Mehren


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