09.09.2007 - 25.11.2007

Louis Ziercke zu Gast bei Friedrich Karl Ströher

Die Begegnung zweier Maler

Dr. Horst Heidermann, Bonn

Im November 1918 war der Weltkrieg, der später der erste genannt wurde, zu Ende gegangen. Zwei Maler konnten ihren Dienst im deutschen Heer beenden und nach Hause zurückkehren. Beide waren freilich nicht an der Front, sondern im Landsturm gewesen. Der eine, Louis Ziercke, hatte zuletzt als Militärkrankenwärter in einem Bonner Lazarett gearbeitet und war für eine Lehrtätigkeit an den Gewerbeschulen in Godesberg und Mehlem mittwochnachmittags und sonntagvormittags freigestellt worden.1) Der andere hatte in Straßburg bei der Anfertigung von Kriegerdenkmälern helfen müssen.2) Friedrich Karl Ströher war nicht nur Maler sondern auch Bildhauer. Beide Künstler zeichneten und malten 1919, 1920 und 1921 gemeinsam in der Landschaft des Hunsrück, in der Nähe des Dorfes Irmenach, wo Ströher geboren war.

Wie kam es zu diesem über Jahre andauernden Zusammenwirken?

Friedrich Karl Ströher, der ältere der beiden Maler, wurde am 3. September 1876 in Irmenach im Hunsrück als Sohn eines Kleinbauern geboren. Nach einer Lehre als Anstreicher ging er seit 1894 auf Wanderschaft durch Deutschland und Europa. Zunächst versuchte er, sich zum Dekorationsmaler weiter zu bilden. Er besuchte die Zandersche Malschule in Halle und Dresden, ab 1886 in den Wintermonaten, 1889 ganzjährig die Kunstgewerbeschule in Zürich. Auf seiner Wanderschaft war er Sozialdemokrat geworden, in Zürich begeisterten ihn die Ideen der Anarchisten. Besonders Leo Tolstoi beeindruckte den emporstrebenden jungen Mann. 1899 endlich ging er nach Paris und studierte Malerei und Bildhauerei an der Akademie des Italieners Calarossi. Walter Leistikow und Max Liebermann beurteilten die Arbeiten des talentierten Malers positiv, nachdem Ströher kurzerhand nach Berlin gefahren war, um sich und seine Werke vorzustellen. So konnte er 1902 in der Berliner Sezession erstmals drei Gouachen ausstellen. Er sollte als Meisterschüler von Arthur Kampf eine Studienstelle an der Akademie der Künste erhalten, sobald ein Atelier frei wurde. 1906 war es soweit; Ströher ging nach Berlin. Seine ständige Finanznot war nun durch ein Stipendium der Akademie behoben. Bis 1911 blieb Ströher Meisterschüler Kampfs. In Berlin gehörte er zu einem geselligen Kreis von Corinth-Schülern, der sich regelmäßig in Charlottenburg traf. Dort traf er Wilhelm Lategahn und wahrscheinlich auch Louis Ziercke. Ströher unternahm Reisen nach Südfrankreich und zweimal nach Spanien. Die erste Spanienreise machte er gemeinsam mit Wilhelm Lategahn. Auf der zweiten Reise erkrankte er 1912 an einem offenen Abszess am Rippenbogen und konnte kaum noch arbeiten. Ströher schloss sich mit anderen Akademieschülern ­ in der Mehrzahl Schüler von Friedrich Kallmorgen ­ der Künstlerverneigung »Der Block« an und stellte auf einer Gemeinschaftsausstellung des »Block« im Künstlerhaus aus.3) Auch Wilhelm Lategahn war Mitglied des »Block«. Die Heilung Ströhers zog sich über eineinhalb Jahre hin. Schließlich wurde er von einem befreundeten Arzt auf seinen Landsitz nach Halle eingeladen, um sich auszukurieren. Nach seiner Heilung wollte Ströher auswandern. Dazu kam es wegen des Kriegsausbruchs nicht. 1917 wurde er als Landsturmmann eingezogen, arbeitete zunächst als Pferdepfleger, dann in einem Atelier in Straßburg, wo er neben der Hauptaufgabe der Herstellung von Kriegerdenkmälern auch eigenständig künstlerisch arbeiten konnte. 1918 entlassen arbeitete er an der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg, war aber häufiger auch in Irmenach, wohin er 1921 endgültig umzog. Der Nachlass des Malers befindet sich seit 1998 im Hunsrück-Museum in Simmern.4)

Der Künstlervereinigung »Block« gehörte auch ein hoffnungsvoller Corinth-Schüler an, den Ströher entweder bereits bei den abendlichen Treffen dieser Schüler, spätestens aber in der Künstlervereinigung »Der Block« getroffen hat: Louis Ziercke.

Wir wissen nicht, wie lange die Bekanntschaft Ziercke-Ströher in Berlin währte und wie intensiv sie war. Aus einem Briefwechsel im Nachlass von Ströher im Hunsrück-Museum in Simmern ergibt sich, dass beide in Berlin eine junge Französin kannten, die zumindest für Ströher Modell gestanden hatte.5) Sie hatte zu Beginn des Weltkrieges Deutschland verlassen müssen und versuchte nun, die Verbindung mit deutschen Malerfreunden wieder aufzunehmen. Ihr erster Korrespondenzpartner war Louis Ziercke (Brief verschollen), von dem sie die Anschrift Ströhers in Irmenach erhalten hat. Immerhin muss die Verbindung in Berlin so intensiv gewesen sein, dass nicht nur ein Modell aus Paris, sondern auch die beiden Maler nach der Beendigung des Krieges im November 1918 wieder daran anknüpften. Im Sommer 1919 besuchte Ziercke seinen Freund Friedrich Karl Ströher in Irmenach. Das Dörfchen lag auf dem Gebirgsrücken des Hunsrück, bei Traben-Trarbach nahe der Mosel.

Rein buchhalterisch betrachtet ist dieser Besuch dokumentiert durch eine Widmung Ströhers für Ziercke auf einem Selbstbildnis. Unter den Holzschnitt auf Packpapier hat Ströher geschrieben: »Meinem Freunde Louis Ziercke gewidmet zur Erinnerung an seinen Aufenthalt in Irmenach Sept. 19«. Im Nachlass Zierckes befindet sich eine weitere Graphik Ströhers, eine »Kuh« aus dem Jahre 1919. Zwei Pinselzeichnungen Zierckes von 1919 und 1920 sind mit »Irmenach« bezeichnet. Eine nicht datierte Lithographie mit »Hunsrück«. Auch zahlreiche weitere Werke Zierckes ohne die bei ihm generell seltene Ortsangabe weisen durch die Motive deutlich auf den Hunsrück.

Beide Malerfreunde haben offensichtlich die Herbst- und Erntezeit zu Studien genutzt, bei Ziercke entstanden vor allem Tuschzeichnungen von Landschaften und Figuren. Besonders die Haltungen der Bauern und der Bauersfrauen interessierten ihn. Außerdem entstanden einige Aquarelle. Da wir ähnliche Motive in der gleichen Zeit auch bei Ströher finden, besteht die begründete Vermutung, dass beide gleichzeitig an den gleichen Stellen gemalt haben, zumindest aber, ihre Werke gegenseitig austauschten und sich so Anregungen gaben. Beide Maler hatten zwar nicht direkt an den Kämpfen des Krieges teilgenommen, aber gerade im »Hinterland« die Leiden von Mensch und Kreatur erfahren müssen. Zierckes jüngerer Bruder war bei den Kämpfen in Frankreich gefallen. Ländliches Leben, das eingebettet sein in und das ausgeliefert sein an die Natur bildeten den heilsame Kontrast zum Kriegserlebnis. Ströher war in dieser Begegnung der erfahrenere Maler, sodass Ziercke ein wenig auch in die Rolle des Schülers geriet. Wie weit der verschlossene Ströher seinem Freunde auch aus den gewonnenen und erlittenen Welterfahrungen berichtete, wissen wir nicht. Da Ziercke noch mehrfach in Irmenach war, können wir aber davon ausgehen. Das große Ölgemälde »Der Pflug« entstand aufgrund von Vorstudien in Irmenach. Als 1920 der »Godesberger Künstlerbund« seine erste Ausstellung in der Redoute veranstaltete, zeigte Ziercke neben Blumenstücken, deren Vollendung er in Berlin bei Corinth gelernt hatte, Früchte seiner gemeinsamen Arbeit mit Ströher.

 

Abb. 1: Friedrich Karl Ströher, Selbstbildnis, Holzschnitt, 1919
(mit Widmung an Louis Ziercke), NL Louis Ziercke

 

Der Bonner »General-Anzeiger« schrieb am 4. Oktober 1920 anlässlich dieser Ausstellung über Ziercke: »Das Aquarell >Garben< zeigt den Weg, den er beschreiten muß. Hier ist ... ein tiefes Erlebnis in einfache, doch zwingende Form gepresst.«

 

Abb. 2: Friedrich Karl Ströher, Ernte, Kreidezeichnung, n. d., Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 3: Friedrich Karl Ströher, Mäher und Binderin, Farbholzschnitt, 1921, Hunsrück-Musuem, Simmern

 

Abb. 4: Louis Ziercke, Garben auf dem Felde, Tusche-Pinselzeichnung, 1920, NL Louis Ziercke

 

Abb.5: Louis Ziercke, Garben, Lithographie, n. d., rückseitig bezeichnet
»Garben (Hunsrück) Orig. Lithographie«, NL Louis Ziercke

 

Am 23. April 1921 versammelten sich mehrere Künstler aus dem Raum Mosel-Hunsrück in Bullay und gründeten den »Künstlerbund Westmark«.6) Unter diesen Gründungsmitgliedern war auch Louis Ziercke, der zwar nicht im Hunsrück wohnte, aber anscheinend durch seine Irmenach-Motive ein künstlerisches Bürgerrecht erworben hatte. Ströher wurde zusammen mit H. Gesemann zum Vorsitzenden gewählt. Schon am 21. Mai 1921 wurde in Koblenz eine Wanderausstellung des Künstlerbundes eröffnet, die anschließend auch in Traben-Trarbach, Simmern, Münster am Stein, Oberstein und Trier gezeigt wurde.7 Ob Ziercke hier vertreten war, ließ sich bisher nicht feststellen. Praktisch gleichzeitig musste er auch auf einer Ausstellung in Godesberg dabei sein.

Schon 1920 scheint Ströher einen Gegenbesuch bei Ziercke gemacht zu haben. Jedenfalls hat das Rita Dutilleul so verstanden. Ihr Deutsch war nicht gut und Ziercke sprach und schrieb kein Französisch. Vielleicht ging es um die Vorbereitung gemeinsamer Ausstellungen.

Im Mai 1921 veranstaltete der »Godesberger Künstlerbund« seine zweite Ausstellung, diemal im Stollwerckhaus. Als Gäste hatte man zu dieser Ausstellung Heinrich Reifferscheidt und Friedrich Karl Ströher eingeladen. Ströher hatte eine Anzahl seiner Holzschnitte mitgebracht und fand damit besondere Beachtung. Die »Godesberger Zeitung« nannte sie »das rühmenswerteste der ganzen Ausstellung«.8) Gezeigt wurden u. a. Arbeiter im Felde, eine Frau mit Kopftuch, ein alter Bauer mit Hut und ohne Hut, ein junger Soldat und eine Dorflandschaft. Die »Godesberger Volkszeitung« spricht von »prachtvollen, sicher aus dem Material geholten wuchtigen Bildnisköpfen.« Unter den Gemälden waren ein spanischer Eselreiter in der Sonne und ein Zigeunermädchen.9) Der Rezensentin Dora Menghius fällt die Motiv-Parallele Ströher-Ziercke auf, wobei sie bei Ziercke die schwere Bodenständigkeit und sein »ringendes Hinübergreifen auf kosmische Gebiete« betont. Ziercke zeigte wiederum Studien zu Garben auf dem Felde und den einsam auf dem Acker stehenden »Pflug«, nun als Ölgemälde.

 

Abb. 6: Friedrich Karl Ströher, Eselsreiter, Öl auf Leinwand, 1911 (Ausstellung Godesberg 1921)

 

Abb. 7: Spanisches Mädchen, Öl auf Leinwand, 1911 (Ausstellung Godesberg 1921), Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 8: Louis Ziercke, Studie zum Pflug", Aquatinta, 1921, NL Louis Ziercke

 

Abb. 9: Louis Ziercke, Getreideernte, Aquarell, etwa 1920, NL Louis Ziercke

 

Abb. 10: Friedrich Karl Ströher, Mäher mit blauer Jacke, Aquarell, etwa 1921, Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 11: Friedrich Karl Ströher, Kornernte, Aquarell, 1922, Hunsrück-Museum, Simmern

 

In der Zeit des gemeinsamen Arbeitens von Ziercke und Ströher in Irmenach schuf Ströher zahlreiche Holzschnitte, auch Farbholzschnitte, und Aquarelle. Von etwa 200 Aquarellen betreffen etwa 100 die Landschaft des Hunsrück und 70 die landwirtschaftliche Arbeit. Ströher selbst schrieb: ... »ich habe mich für den Hunsrück entschieden und finde, dass Kraft in der Heimat liegt. Dazu dienen also die vielen Reisen, dass sie mich dies erkennen ließen«.10) Der Maler Karl Kaul schreibt, für ihn seien die Aquarelle das Beste, »was Friedrich Karl Ströher je schuf«.11)

 

Abb. 12: Friedrich Karl Ströher, Am Nähtisch, Aquarell, 1922 (wahrscheinlich Charlotte Geisler), Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 13: Louis Ziercke, Die Näherin, Tusche-Pinselzeichnung, 1921 (wahrscheinlich Anna Maria Görgens), NL Louis Ziercke

 

Während diese Zeit für Ströher eine Zeit der Reife war, stand Ziercke erst am Anfang seiner malerischen Karriere. Beide blieben den naturalistischen Grundformen treu, wandelten sie aber in unterschiedlicher Weise ab. Während Ströher in seinen späten Aquarellen die natürliche Form zum Teil so weit verfremdete, dass man von expressivem Realismus (Rainer Zimmermann) sprechen kann, und sich auch in den Farben weit von den Naturfarben der Landschaft entfernte, versuchte Ziercke in seinen malerischen und zeichnerischen Arbeiten eine Konzentration durch Reduktion der Formen auf wesentliche Merkmale. In den Farben wich er zwar ebenfalls von den Lokalfarben ab, bevorzugte eine größere Flächigkeit und kräftigen Pinselstrich, blieb aber wie bei der Form näher am Motiv. Ströher kam in seinen Farb-Holzschnitten zu einem ähnlichen Stil.

Ausweislich der künstlerischen Arbeiten war Ziercke auch in den Jahren 1920 und 1921 in Irmenach. Für Ziercke waren es äußerst fruchtbare Jahre. Nie wieder entstehen graphische Arbeiten in solcher Fülle. Ziercke schuf sich einen Fundus an Motiven und Bildideen, von dem er noch lange zehren konnte. Auch den später für ihn so wichtigen Ziegen dürfte er hier zuerst begegnet sein. Ströher hatte zwei, die zur Küchenwirtschaft des Hauses wichtige Beiträge leisteten. Nach Düsseldorf mit Peter Behrens und Fritz H. Ehmcke, nach Berlin und Corinth darf man die Zeit in Irmenach und mit Ströher getrost als Zierckes dritte Zeit einer neuen Erfahrung bezeichnen, der Erfahrung der kollegialen Begegnung.

Das menschliche Temperament der beiden Maler war freilich recht verschieden. Ziercke war ein extrovertierter, fröhlicher, auf Ausgleich bedachter, sich leichter anpassender Typ, der Konflikte nur dann austrug, wenn es um Schicksals entscheidende Fragen ging; Ströher blieb schüchtern, verschlossen und grüblerisch, in sich gekehrt. Er ging seinen Weg auch gegen Widerstände. Der Umgang mit Ziercke war für ihn ein Ausgleich. Vermutlich hier war Ströher der Nehmende.

 

Abb. 14: Ströher, Stilisiertes Selbstbildnis 1917

 

Einige der in Irmenach gewonnen Themen begleiteten Ziercke während der ganzen Zeit seines kreativen künstlerischen Schaffens bis etwa 1933/34. Das Thema des alten Mannes, für das ursprünglich Ströhers Vater Modell gesessen hatte, wurde immer wieder aufgegriffen und im Sinne einer Typisierung abgewandelt. Den hunsrücker Schafsherden blieb Ziercke ebenfalls treu. Sein Bild »Der Weg der Schafe« von 1932 gehört zu seinen besten Gemälden.

 

Abb. 15: Ziercke, Wunschbildnis" (Bachus), 1928

 

Abb. 16: Louis Ziercke, Schafe auf der Weide, Tusche-Pinselzeichnung, n. d., NL Louis Ziercke

 

Abb. 17: Friedrich Karl Ströher, Schafe auf der Weide, Kreidezeichnung, n. d., Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 18: Friedrich Karl Ströher, Schafe auf der Weide, Farbholzschnitt, 1921, Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 19: Louis Ziercke, Der Weg der Schafe, Öl auf Leinwand,1932, NL Louis Ziercke

 

Abb. 20: Louis Ziercke, Vorstudie, Tusche-Pinselzeichnung, n. d., NL Louis Ziercke

 

Abb. 21: Friedrich Karl Ströher, Vater in seiner Stube, Aquarell, 1920, Hunsrück-Museum, Simmern

 

Abb. 22: Louis Ziercke, Mann mit Krug, Aquarell 1931, NL Louis Ziercke

 

1922 wurde die Verbindung Ziercke Ströher lockerer. Ströher war wieder einmal ernsthaft krank. Er heiratete im gleichen Jahr Charlotte Geisler, eine Bekannte aus Berlin, die er als Verehrerin seiner Kunst kennen gelernt hatte, 1923 begann er mit der Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen. Ziercke machte vermutlich 1920 in Königswinter die Bekanntschaft seiner späteren Frau. Im Sommer des Jahres unternahm er, wohl zusammen mit Frau Görgens, eine Reise nach Hamburg und an die Ostsee. Die Seestücke in der Tradition der Berliner Secession lösten die Aquarelle aus dem Hunsrück ab. Während Ziercke 1923 heiratete, wurde Ströher der erste (und einzige Sohn) Peter geboren. Am 14. Dezember 1925 starb Ströher in Irmenach. Seine Frau, die sich den ärmlichen und ländlichen Verhältnisse als Berlinerin erstaunlich gut anpasste, war nun die Verwalterin des Werkes, das sie sicherte und zum Teil durch Rückkäufe von Bildern abrundete. Sie starb 1991 in Traben-Trarbach. Sohn Peter setzte die Arbeit fort und schloss schließlich die entscheidenden Verträge mit der Stadt Simmern, die die Präsentation der Werke Ströhers im Hunsrück-Museum ermöglichten.

Der Tod Ströhers wurde aus Irmenach allerdings nicht an Ziercke sondern an eine Bonner Bekannte, die Frau von Prof. Heinrich Gerhartz12), telegraphiert. Über diese wurde der Bonner Jurist und Rechtsanwalt Dr. Matthias Rech (1879-1946)13) informiert, der seit Mai 1921 Verbindung zu Ströher gehabt hatte. Dieser Kontakt wurde bald enger, Rech bestellt »sein gesamtes graphisches Werk« (Tagebuch14)) und gab ein Krippenspiel in Auftrag. Im Nachlass von Louis Ziercke befindet sich eine nicht signierte Zeichnung, die wahrscheinlich eine Entwurfsskizze Ströhers für dieses Krippenspiel darstellt. 1924 kam Ströher nach Rheinbach, um in einem Landhaus von Professor Heinrich Gerhartz die Wände zu schmücken. Rech und seine Frau konnten dann Ströher, der inzwischen geheiratet hatte, Pfingsten 1924 noch einmal in Irmenach besuchen, wo sie im Gasthof Fuchs wohnten. Ob diese Beziehungen nach Bonn auch mit fortwährenden Kontakten zu Ziercke verbunden waren, wissen wir nicht. Es ist aber sehr wahrscheinlich. Noch im Sommer 1925 hatte es in der Buchhandlung Röhrscheidt eine Schaufenster-Ausstellung Ströhers gegeben, in der hauptsächlich seine Aquarelle ausgestellt waren.

 

Abb. 23: Friedrich Karl Ströher (?), Skizze, NL Louis Ziercke

 

Ziercke blieb nach dem Tod Ströhers nur noch die Freundschaft mit seinem Godesberger Kollegen Walther Rath, den er zwar in mehreren Zeichnungen abbildete, der aber auf seine Malweise wenig Einfluss hatte.15) Als Maler weniger bedeutend war Alfred K. Müller, an den sich Ziercke nach dem frühen Tod von Walter Rath 1935 stärker anschloss und der ihm in seinen Rheinischen Werkstätten für Bühnenkunst" ein Einkommen als Bühnenmaler sicherte.16)

Eine Herausforderung wie die, die er in Irmenach gefunden hatte und die sein eigenes Schaffen anregte, teils prägte, kam durch einen Größeren: Vincent van Gogh rückte stärker ins Blickfeld. Ziercke fand in der Auseinandersetzung mit ihm, die auch als Huldigung zu verstehen war, vor allem in den großen Kohlezeichnungen seinen eigenen Stil, jenes ruhige Schwingen, das sich vor elf Jahren in einigen Arbeiten in Irmenach schon angedeutet hatte. Freilich war das eine Kunst gegen die Zeit. Alfred Rosenberg und seine Gefolgsleute kämpften nicht nur gegen Expressionismus und Impressionismus. Nicht nur Zierckes Lehrer Lovis Corinth geriet ins Blickfeld der NS-Säuberungen der Museen. Auch van Gogh, in dem beide Strömungen sich trafen, fand keine Gnade. Offiziell und reichsweit ging die Saat 1937 auf. So geriet Ziercke zunehmend in einen inneren Zwiespalt der künstlerisch fruchtbaren Rebellion und der Anpassung nach Außen. Freilich Ziercke war nie ein Kämpfer gewesen. So gewannen Anpassung und Gleichschaltung. Der Künstler trat immer seltener in seiner ursprünglichen Begabung hervor.

Ziercke hat auch nach seiner Freundschaft mit Friedrich Karl Ströher immer wieder den Weg in die rheinischen Mittelgebirgslandschaften gesucht. Da er aber keinen besonderen Grund mehr hatte, nach Irmenach zu fahren, trat die näher gelegene Eifel an die Stelle des Hunsrück. Das kleine Dörfchen Pützborn bei Daun, vermutlich noch ärmer als Irmenach, war nun das Ziel sommerlicher Ferienreisen der Familie Ziercke.17) Freundschaft schlossen die Zierckes dort mit der Bauernfamilie Arnoldi. Der Maler hatte jetzt, er war nun so alt wie Ströher 1921/22, seine Zeit der Reife erreicht.

 

Abb. 24: Louis Ziercke, Pützborn (Ziegen vor dem Dorf), 1932, NL Louis Ziercke

 

1) StA Bonn, G 1131 Die Fortbildungsschule in Godesberg 1908-1921.
2) Lebenserinnerungen des Malers Friedrich Karl Ströher 1876-1925. Bearbeitet von Dieter Merten, Fritz Schellack, Christel Schumacher, Kornelia Theiß und Wilfried Theiß, Simmern 2004, darin: Wolfgang Heinemann, Auf den Spuren des Malers Friedrich Karl Ströher (1876-1925), S. 270, sowie KLEMENS KROH, Friedrich Karl Ströher. Bemerkungen zu Leben und Werk, S. 231-255.
3) Besprechungen dieser Ausstellung durch Fritz Stahl im Berliner Tageblatt" vom 18. Oktober 1912 und durch Edward Otto Püttmann in der Staatsbürger Zeitung", Berlin vom 29. Oktober 1912. Diese Künstlervereinigung darf nicht mit der gleichnamigen, 1928 gegründeten Architektenvereinigung verwechselt werden, deren Vorsitzender Paul E. Schultze-Naumburg war. Schultze-Naumburg war 1927 aus dem Deutschen Werkbund" ausgetreten. Das Künstlerhaus war das Vereinshaus des Vereins Berliner Künstler in der Bellevuestr. 3. 1928 verkauft, im Krieg zerstört.
4) FRITZ SCHELLACK, Die Kunstsammlung Friedrich Karl Ströher im Hunsrück-Museum Simmern, in: Lebenserinnerungen, a. a .O., S. 273-285.
5) Hunrück-Museum, Simmern, NL Ströher, Briefe von Rita Dutilleul in Paris an Friedrich Karl Ströher in Irmenach vom 9.3.1920 und vom 1.6.1920.
6) General-Anzeiger, Koblenz vom 29. April 1921.
7) Lebenserinnerungen, a. a. O., S. 287.
8) Godesberger Zeitung, Juni 1921.
9) Godesberger Volkszeitung vom 11. Juni 1921 (Dora Menghius).
10) Zitiert nach KARL KAUL, Die Aquarelle Friedrich Karl Ströhers, in: Lebenserinnerungen, a. a. O, S. 253.
11) KARL KAUL, wie oben.
12) Prof. Dr. med. et phil. Heinrich Gerhartz, a. o. Prof., Internist in Bonn.
13) Rech war Amtsrichter in Bernkastel-Cues gewesen. HANS M. SCHMIDT, Walter Cohen ­ Die wissenschaftlichen Anfänge in Berlin und Bonn und seine Sicht rheinischer Kunst, in: MARTINA SITT, Auch ein Bild braucht einen Anwalt. Walter Cohen ­ Leben zwischen Kunst und Recht, München 1994, S. 26; Lebenserinnerungen, a. a. O., S. 7. Siehe auch MATTHIAS RECH, Carl Friedrich Ströher aus Irmenach, in: Rheinische Heimatblätter, 3. Jg., Heft 6, Koblenz 1926, S. 229-232, dort mehrere Abbildungen von Krippenfiguren.
14) MATTHIAS RECH, Tagebuch, S. 142, www.rechmatthias.de.
15) DANIEL SCHÜTZ Walter Rath ­ Die Wiederentdeckung eines Godesberger Malers, in: Godesberger Heimatblätter, 40, 2003.
16) HORST HEIDERMANN und DANIEL SCHÜTZ, Bühnenbilder aus Godesberg. Die Rheinischen Werkstätten für Bühnenkunst Godesberg a./Rh.", in: Godesberger Heimatblätter, 2005.
17) Dazu HORST HEIDERMANN, Die Eifelmotive des Bonner Künstlers Louis Ziercke, in: Eifel-Jahrbuch 2005, S. 97-107; ROBERT SCHEITHE, Weg in die Eifel nach Daun und Pützborn, in: Vulkaneifel ­ Heimatjahrbuch 2007, S. 133 ff.

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